Sonntag, 28. Januar 2018

Cat Man, Aziz Ansari und die Strafbarkeit von schlechtem Sex




Eine typische Eigenschaft von feministischen Twitter-Kampagnen besteht darin, einen beliebigen Anlaß zu haben, der nach einer bald folgenden thematischen Verallgemeinerung der Kampagne i.d.R. darauf hinausläuft, den immerwährenden Alltagssexismus, unter dem Frauen leiden, und deren Opferstatus zu beschwören.

So auch bei der MeToo-Kampagne: Nur eine winzige Minderheit von Frauen kommt in Kontakt mit einem kriminell agierenden Filmmogul. Alltäglicher sind hingegen Kontakte, bei denen Männer aufdringlich sind und/oder die nach einem brauchbaren Anfang im weiteren Verlauf unangenehm werden, oder kurz gesagt wo der Sex schlecht ist.

Dieses Problem war der Thema des kürzlich in die Schlagzeilen hochgeschwappten Skandals um Aziz Ansari. Diese Affäre hatte wiederum einen Vorläufer im Dezember 2017 in Form einer intensiven Debatte um die Kurzgeschichte "Cat Man", die hier kaum wahrgenommen wurde. Den enormen Presserummel um die Aziz-Ansari-Affäre versteht man wohl nur richtig vor dem Hintergrund der "Cat Man"-Debatte. Beide Debatten weisen viele Gemeinsamkeiten auf und behandeln unter der Oberfläche Themen, die seit 10 oder mehr Jahren im Rahmen der Title-IX-Gesetzgebung hitzig, um nicht zu sagen unversöhnlich debattiert werden.

"Cat Man"

Eine schlecht verlaufene Beziehung beschreibt Kristen Roupenian in der Kurzgeschichte "Cat Man". Eine Frau lernt über eine längere Zeit hinweg einen Mann (der angeblich eine Katze besitzt, daher der Titel) kennen, landet irgendwann in seiner Wohnung, es kommt zu sexuellen Kontakten, die aber unangenehm werden, zumal der Cat Man ein eher schlechter Liebhaber ist, sie fühlt sich am nächsten Tag schrecklich und bricht den Kontakt zu ihm ab.

Diese Kurzgeschichte erschien am 11.12.2017 im New Yorker und erzeugte eine enorme Resonanz: Die Webseite wurde die am meisten abgerufene des ganzen Jahres, tausende Frauen hatten ähnliches erlebt und konnten #MeToo "anklicken". Insb. weil der Cat Man eine alltägliche Person war (im Gegensatz zu Prominenten wie Weinstein oder Ansari), konnten sich viele Frauen mit der weiblichen Hauptfigur identifizieren.

Die Aziz-Ansari-Affäre

Eine ziemlich ähnliche Geschichte scheint sich im September 2017 im realen Leben zugetragen zu haben. Die Rolle des Cat Man spielte dabei Aziz Ansari, ein prominenter, preisgekrönter Unterhalter in den USA. Er hatte sich insb. als Feminist, der besseres Benehmen von Männern forderte, profiliert.

Am 13.01.2018 erschien ein Bericht einer anonym gebliebenen Frau mit dem Pseudonym "Grace" auf der Webseite Babe.net über einen Abend mit Aziz Ansari, den sie als den schlimmsten in ihrem Leben bezeichnet. Sie hatte vorher einige informelle Kontakte mit Ansari gehabt. An dem entscheidenden Abend ging sie nach einem gemeinsamen Abendessen in einem Restaurant mit zu Ansari in dessen Wohnung. Es kam dort zu sexuellen Kontakten, wobei Ansari die treibende Kraft war und "Grace" sich nach eigener Darstellung lustlos bis reserviert verhielt und verbale und nichtverbale Signale aussandte, daß sie sich unwohl fühlte, die aber Ansari bestenfalls für kurze Zeit bremsten. Gewaltanwendungen oder sonstige strafbare Handlungen seitens Ansari lagen nicht vor. Wenn die Darstellung von "Grace" stimmt, war Ansari nach hiesigen Maßstäben sehr aufdringlich und nicht gerade ein besonders guter Liebhaber. Ansari selber stellte den Abend so dar, daß ihm zu keinem Zeitpunkt bewußt und es nicht seine Absicht war, gegen den Willen von "Grace" zu verstoßen oder sie zu belästigen.

Der Hauptvorwurf von "Grace" und ihren Unterstützerinnen besteht darin, daß Ansari auf ihre verbalen und nichtverbalen Signale (darunter aber offenbar kein klares Nein) nicht richtig reagiert und sie überrumpelt zu haben. Unstrittig ist auch, daß "Grace" jederzeit die Option hatte, den Besuch zu beenden und die Wohnung zu verlassen. Sie tat dies aber nicht bzw. viel zu spät, weil sie mit Ansaris unsensiblem Verhalten nicht gerechnet hatte, zumal er sich öffentlich als bekennender Feminist besonders für ein besseres Benehmen von Männern eingesetzt hatte:

"I didn't leave because I think I was stunned and shocked," she ["Grace"] said. "This was not what I expected."

Der Bericht auf Babe.net löste eine enorme Pressereaktion aus: es erschienen Dutzende von Artikeln, darunter viele in Medien mit sehr hoher Reichweite, u.a.: The Atlantic, 14.01.2018, Vanity Fair, 14.01.2018, New York Times, 15.01.2018, Sydney Morning Herald, 15.01.2018, Vox, 16.01.2018, The Cut, 16.01.2018, Business Insider, 17.01.2018, Time, 17.01.2018, New York Times, 17.11.2018, The Atlantic, 17.01.2018, Vox, 23.01.2018. Diese enorme Resonanz liegt zum einen an der bereits durch "Cat Man" initiierten Debatte, in vielen Artikeln wird auch der Zusammenhang beider Fälle betont. Hinzu kommt der übliche Voyeurismus, weil eine sehr prominente Person involviert war.

Die Kommentatoren teilten sich von Anfang an in zwei Gruppen, von denen eine "Grace" und ihren Bericht kritisierten, die andere das Verhalten von Ansari.

Von beiden Lagern aus wurde der Journalismus von Babe.net kritisiert: hier wurden eindeutig elementare journalistische Mindeststandards unterlaufen. Dem Beschuldigten wurde keine reale Chance gegeben, zusammen mit der Anklage eine Gegendarstellung zu veröffentlichen, die Darstellungen von "Grace" erscheinen teilweise inkonsistent und nicht glaubwürdig, in deren journalistischer Aufbereitung wird beliebig zwischen Bericht und Bewertung gewechselt, und der Reputationsschaden, den Ansari durch die offensichtlich beabsichtigte Hetzkampagne erleidet, ohne daß die Vorwürfe gegen ihn geklärt wären, steht in keinem Verhältnis zum eigentlichen Vorfall. In der Berichterstattung der feministischen Medien ist derartiges Fehlverhalten nach meinem Eindruck eher die Regel als die Ausnahme, zumal die Emotionalisierung und Begriffsausweitung bzw. -Verschiebung ein Hauptmerkmal feministischer Twitter-Kampagnen ist. Insofern ist es schön, wenn dieses Problem thematisiert wird. Der inhaltliche Kern der Debatte, die in der Kurzgeschichte "Cat Man" genauso vorliegt, ist indes unabhängig von diesem journalistischen Fehlverhalten.

Die Strafbarkeit von schlechtem Sex

Die beiden Standpunkte beim inhaltlichen Kern der Debatte um Cat Man und Aziz Ansari kann man mit den Schlagworten "Gedanken lesen können" bzw. "Nein sagen können" bezeichnen. Hierzu muß man sich zunächst den äußeren Rahmen vergegenwärtigen:
  1. Wir befinden uns in der Phase der Anbahnung sexueller Kontakte, und zwar bei Paaren, die sich nicht schon lange kennen und die sich ggf. noch nicht gut einschätzen können.
  2. Das Interesse an sexueller Betätigung ist unterschiedlich stark, d.h. es gibt einen aktiv(er)en und einen passiv(er)en Teilnehmer. Bei heterosexuellen Kontakten ist wegen der Libido-Asymmetrie von Männern und Frauen fast immer der Mann der aktive, initiierende Teil.
  3. Die anfänglichen Verführungsbemühungen des aktiven Teils sind nicht erfolgreich (andernfalls hätte man kein Problem und das Paar würde sich gut amüsieren), die Stimmung des passiven Partners sinkt, weil der Sex einfach schlecht ist, und er würde den Kontakt jetzt lieber beenden.
Im Kern geht es um die Frage, in wessen Verantwortung es in dieser Situation liegt, den sexuellen Kontakt zu beenden. Die Debattengegner haben zwei verschiedene Standpunkte:
  • Die Verantwortung liegt beim aktiven Partner, also i.d.R. beim Mann: es wird als seine Pflicht angesehen, sich ständig erneut davon zu überzeugen, daß der passive Partner noch Lust am Weitermachen hat. In der seit wenigstens 10 Jahren andauernden Title IX-Debatte wird dies als Sicherstellung "anhaltender begeisterter Zustimmung" ("ongoing enthusiastic consent") bezeichnet.
  • Die Verantwortung liegt beim passiven Partner, also i.d.R. bei der Frau: es wird von ihr erwartet, klar verständlich Nein zu sagen und notfalls das Bett oder die Wohnung zu verlassen, auch wenn sie damit die Gefühle des Partners verletzt.
Der erste Standpunkt, den wir als den heute dominierenden feministischen Standpunkt ansehen können, macht alleine den Mann dafür verantwortlich, ein eventuelles Unwohlsein der Frau zu erkennen und zu vermeiden, und indirekt schlechten Sex zu einer Straftat (was konsistent mit dem feministischen Definitionsmacht-Konzept ist, wonach alleine die Frau entscheidet, ob eine sexuelle Belästigung vorliegt). Bari Weiss formulierte prägnant, daß die Schuld von Aziz Ansari darin bestand, die Gedanken der Frau nicht lesen zu können ("Guilty Of Not Being a Mind Reader").

Implizit wird der passive Partner hier entmündigt und zu einem Kind gemacht: wenn seine verbalen und nichtverbalen Äußerungen nur lauwarm positiv oder ambivalent sind, muß der aktive Partner die Rolle des Erwachsenen übernehmen und für das Kind entscheiden. Wenn der aktive Partner darin versagt, muß der passive Partner anschließend eine öffentliche Instanz aktivieren können - den Staat mit Strafgesetzen oder einen medialer Pranger - der das Nichterwachsensein des aktiven Partners sanktioniert. In diesem Sinne bezeichnen viele feministische Stellungnahmen die Hetzkampagne gegen Aziz Ansari als richtig und notwendig. Verlangt wird also eine paternalistische Instanz, die die fehlende Souveränität des passiven Partners ersetzt.

Genau diese Entmündigung lehnen Deneuve und Koautorinnen in ihrem kürzlich heftig debattierten offenen Brief ab:

daß Frauen "besondere" Wesen sind, Kinder mit Gesichtern von Erwachsenen, die verlangen, beschützt zu werden,
ist nicht nur mit ihrem eigenen Selbstverständnis als starke, selbstverantwortliche Persönlichkeit unvereinbar, sondern auch "im Interesse der Feinde sexueller Freiheit, der religiösen Extremisten und der schlimmsten Reaktionäre" (wahrscheinlich ist wieder einmal das Patriarchat am Werk).

Der argumentative Schützengraben liegt also zwischen den feministischen Fraktionen: Auf der einen Seite tendenziell ältere Feministinnen wie Deneuve, die die Errungenschaften der zweiten feministischen Welle retten wollen und die Frauen als Erwachsene ansehen. Auf der anderen Seite tendenziell jüngere Feministinnen, die im Kern ein Recht auf safe spaces verlangen bzw. ein "Recht, von niemandem behelligt zu werden!" (dieses "right not to be offended" wurde noch vor wenigen Tagen in dem inzwischen legendären Interview von Jordan Peterson durch Cathy Newman postuliert).

Eine lesbische Sichtweise

Besonders instruktiv ist hier die Stellungnahme einer lesbischen Kommentatorin, Katie Herzog: sie hat selber oft genug die aktive und passive Rolle gespielt, um beide Rollen zu verstehen, und genügend schlechten Sex erlebt, an dem sie selber und/oder ihre Partnerin "schuld" war.

Die einseitige Schuldzuweisung an den aktiven Partner erscheint ihr naheliegenderweise als absurd. Der Kern des hier vorliegenden Problem ist die Libido-Asymmetrie und ggf. ungleiche Attraktivität der beiden beteiligten Personen (und nicht etwa eine von anderen Autorinnen herbeiphantasierte Vergewaltigungskultur oder ähnliche Gruselgeschichten). Es handelt sich daher auch originär nicht um ein Geschlechterproblem. Zu einem Geschlechterproblem wird es nur statistisch, weil fast alle Menschen heterosexuell sind und unter heterosexuellen Paaren meistens (aber keineswegs immer) der Mann die stärkere Libido hat und die aktive Rolle übernimmt.

Die zweite Erkenntnis aus der lesbischen Sichtweise betrifft die Dramatisierung und Skandalisierung von unerfreulich verlaufenen sexuellen Begegnungen: Katie Herzog konstatiert nüchtern, es seien ihr genügend viele weitaus schlimmere Dinge als schlechter Sex im Leben passiert. Herzog bestätigt hier eine alte Erkenntnis: soziale Probleme sind sozial konstruiert, denn der Bewertungsrahmen für die Fakten und die Bereitschaft, etwas überhaupt als gravierendes Problem, das sozial (und nicht individuell) gelöst werden muß, sind willkürlich und in verschiedenen Zeiten und Kontexten völlig anders.

Fazit

Eine zentrale werbliche Selbstbeweihräucherung der Protagonisten der MeToo-Kampagne ist die These, jetzt würde endlich das Schweigen über den Alltagssexismus gebrochen und endlich eine lange notwendige Diskussion über die Leiden der Frauen in Gang kommen. Genau das gleiche hörte man vor rund 5 Jahren von der Aufschrei-Kampagne und zwischendurch und sogar schon viele Jahre davor von Dutzenden weiterer Kampagnen, die immer nach dem gleichen Schema funktionieren.

Im Kern wird immer wieder die gleiche zentrale Frage debattiert: sind Frauen bei der Anbahnung sexueller Kontakte (und auch in anderen Kontexten) unmündige Kinder oder für sich selbst verantwortliche Erwachsene? Verstehen sich Frauen als gleichwertig zu Männern oder dürfen sie bei jeder Gelegenheit, wo es nicht nach Wunsch läuft, nach einem großen Bruder rufen, der es für sie richtet?

Auch wenn mich das als Masku zutiefst erschüttern müßte, bin ich da eindeutig der gleichen Meinung wie Altfeministinnen wie Deneuve (es gibt aber auch genügend jüngere Frauen mit vergleichbaren Standpunkten).

Das eigentlich Deprimierende ist, daß diese Diskussion seit Jahren nicht vorankommt. Eventuell, weil Kinder mit komplizierten Themen überfordert sind.

Nachträge

In der radikalfeministischen TAZ bezeichnet Hamade (2018) die Unfähigkeit bzw. den Unwillen von Männern, die Gedanken von Frauen zu lesen, als "Kommunikationsverweigerung". Daß Männer Gedanken lesen können, ist für ihn dadurch bewiesen, daß sie es untereinander längst tun und weil im Alltag ein Großteil unserer Kommunikation nonverbal ist. Beispielsweise beim Zusammentreffen mit anderen Männern (a.k.a. intrasexuellen Konkurrenten) schätzt man das Risiko einer Prügelei oft anhand von nonverbalen Signalen ein. Diese Fähigkeit überträgt sich 1:1 auf das Zusammentreffen mit Frauen (das für Männer der Situation des Angeklagten im Gerichtssaal ähnelt: jede Äußerung kann gegen ihn verwendet werden und sollte daher genau überlegt sein).

Die TAZ traut den Männern sogar zu, sogar im Dämmerlicht die Mimik, Körperhaltung oder sonstige nonverbale Signale der Frau so präzise zu interpretieren, daß sie genau wissen, ob sie ganz aufhören, das Tempo drosseln oder einfach weitermachen können. Frauen befinden sich währenddessen in Schockstarre und sind für nichts verantwortlich.

Service-Hinweis: Nach dem bekannten Poe'schen Gesetz (Poe's law) ist es bei radikalen Ideologien, z.B. Kreationismus, Feminismus usw., nicht möglich, ernst gemeinte Äußerungen von Persiflagen von Standpunkten der Ideologie zu unterscheiden.



Literatur