Mittwoch, 13. Februar 2019

Elisabeth Wehling - ein Scheinriese?




Das ARD-Handbuch "Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD"

Zur Zeit erzeugt das ARD-interne Handbuch "Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD" einigen medialen Aufruhr (Welt, 11.02.2019, Tagesspiegel, 11.02.2019, MDR, 12.02.2019, Focus, 12.02.2019, DWDL, 12.02.2019, Meedia, 12.02.2019, Tichys Einblick, 12.02.2019). Das Handbuch, auch als "Framing-Manual" bezeichnet, soll ARD-Führungskräften beibringen, wie sie unter Nutzung trickreicher psychologischer Methoden die öffentliche Meinung über die ARD und deren Milliardenkosten ins Positive wenden. Das Handbuch ist (noch) vertraulich, der o.g. Welt-Artikel zitiert einige Stellen daraus. Die Angelegenheit entwickelt sich gerade zu einem Rohrkrepierer erster Güte: während die ARD sonst nimmermüde behauptet, höchste journalistische Standards einzuhalten (woran es berechtigte Zweifel gibt), stellt sie diese Standards offenbar sofort zur Disposition, sobald es um die Berichterstattung über sie selber geht.

Die bekannt gewordenen Zitate aus dem Handbuch erinnern im übrigen an Inhalte, die seit langem in jedem besseren Lehrbuch für Journalisten stehen. Die Tücken des Framing sind z.B. auch Anja Reschke, deren Buch "Haltung zeigen!" hier kürzlich rezensiert wurde, bestens bekannt.

Das Handbuch wurde produziert vom "Berkeley International Framing Institute", als dessen Inhaber Elisabeth Wehling angegeben wird. Elisabeth Wehling ist keine Unbekannte. Seit Jahren dient sie u.a. regelmäßig der Süddeutschen und der ZEIT als autoritative wissenschaftliche Auskunftsquelle zu linguistischen Fragen, z.B. wenn wieder einmal bewiesen werden soll, daß nicht gegenderte Formulierungen extrem schädlich für Frauen sind (s. z.B. Süddeutsche, 20.04.2018). Wehling warnt auch unermüdlich gegen das Framing von Begriffen von rechts. Über Wehling erfahren wir im o.g. Artikel der Süddeutschen:

Elisabeth Wehling lehrt als Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin an der Universität Berkeley in Kalifornien. Dort leitet sie Forschungsprojekte zu Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung.
Andere Quellen zeichnen ein ähnlich euphorisches Bild. Man wird richtig neugierig auf so eine erfolgreiche und produktive Frau, die nicht nur dutzendweise Artikel in feministischen Zeitschriften verfaßt, sondern offenbar auch noch so hochkarätige Wissenschaft betreibt, daß in der ganzen ARD niemand hausintern gefunden werden konnte, der sich ähnlich gut mit Framing auskennt. Grund genug, sich die Aktivitäten von Wehling und ihrem "Berkeley International Framing Institute" einmal genauer anzusehen.

Elisabeth Wehling an der U. Berkeley

Wenn man auf der Webseite der U. Berkeley nach Elisabeth Wehling sucht, wird man im Department of Linguistics fündig. In deren Faculty and Postdoctoral Scholars-Liste wird Wehling als "Postdoctoral scholar" geführt. Das kann verschiedenes bedeuten, u.a. Habilitand, Stipendiat oder Gastforscher. Weder hier noch an anderer Stelle konnte ich Hinweise finden, daß Wehling Lehrveranstaltungen anbietet oder Projekte leitet (während solche Angaben bei Professoren normal und sozusagen die Visitenkarte sind).

Wenn man nach Publikationen mit Author Wehling sucht, findet man genau einen Treffer, ihre Dissertation von 2013, sonst nichts.

Wehling hat offenbar noch nicht einmal eine eigene Homepage im Webauftritt der U. Berkeley, alle Links führen immer zu ihrer privaten Domäne http://www.elisabethwehling.com.

Bis zum Beweis des Gegenteils halte ich die Behauptung der Süddeutschen, Wehling würde als Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin lehren und sogar Forschungsprojekte leiten, für unglaubwürdig und falsch.

Die Forscherin Elisabeth Wehling

Wehling war und ist schriftstellerisch sehr produktiv, sie hat zahllose Artikel in Presseorganen verfaßt. Solche Artikel sind aber keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen, nicht vom Anspruch her und auch wegen der fehlenden Begutachtung nicht. Auf ihrer privaten Homepage findet sich eine eigene Seite mit ihren Publikationen. Diese Publikationsliste enthält dutzendweise interne Berichte und unreferierte Veröffentlichungen. Im Abschnitt "Academic Papers In Progress, Submitted, & Published" werden etliche eingereichte oder "in preparation" befindliche Texte gelistet, aber nur 4 akzeptierte Veröffentlichungen. Eine davon ist ein Artikel in einem von Wehling selber herausgegebenen Special Issue einer Zeitschrift, den aber leider Google nicht findet. Die anderen 3 stammen aus 2010 - 2012, zwei davon auf italienisch.

Die schon erwähnte Dissertation von 2013 ist laut Google Scholar bisher insg. 10 Mal zitiert worden, darunter 3 Eigenzitate, die restlichen 7 Zitierungen stammen von nur 3 Autoren. Der wissenschaftliche Ertrag und die Rezeption der Forschungen von Wehling ist also sehr überschaubar und um Größenordnungen entfernt von den Erfolgen, die man üblicherweise mit einem Wissenschaftler an der Universität Berkeley in Kalifornien assoziiert.

Nun kann man sich auch auf andere Weise wissenschaftlich profilieren, z.B. durch die Herausgabe von Zeitschriften (was indes normalerweise nur wissenschaftlich sehr erfolgreichen Forschern vergönnt ist). In ihrer Selbstdarstellung weist Wehling darauf hin, sie sei Co-Founder and Co-Editor of the international scientific journal Moral Cognition and Communication. Mit etwas Mühe konnte ich den Verlag ausfindig machen, der diese Zeitschrift herausgibt, und auch die Seite für diese Zeitschrift "Moral Cognition and Communication" (ISSN 2542-3800 | E-ISSN 2542-3819). Leider findet sich auf dieser Seite nur der Hinweis Publishing status: Canceled, und unter Issues ist keine einzige Ausgabe gelistet. Entweder sind alle früheren Ausgaben gelöscht worden, was äußerst ungewöhnlich wäre, oder aber es ist nie ein Heft dieser Zeitschrift erschienen. Irgendwie enttäuschend.

Auf die Kontrolle der zahllosen weiteren Kooperationen und Ehrenfunktionen, die die Selbstdarstellung listet, habe ich aus Zeitgründen verzichtet, zumal entsprechende Informationen nicht im Netz zu finden sein dürften.

Das "Berkeley International Framing Institute"

Professoren wird oft nachgesagt, daß sie gar keine Papiere mehr selber schreiben, sondern die Arbeit von ihren Doktoranden machen lassen und ansonsten die Bürde der Gesamtverantwortung tragen, aber immerhin die Mittel zur Bezahlung der Doktoranden einwerben. Auszuschließen ist also nicht, daß an einer der zu vermutenden internationalen Niederlassungen des "Berkeley International Framing Institute" hochkarätiges Personal arbeitet.

In der Selbstdarstellung des Instituts findet man kein Impressum, keine Postadresse, Telefonummer etc., keine Angaben zur Rechtsform (Verein, GmbH o.ä.), das Institut scheint keine juristische Person zu sein. Unter "About My Work" wird nur Wehling erwähnt. In einer archivierten Version von 2017 der gleichen Seite, die damals den Titel "Who We Are" hatte, ist George Lakoff als zweites Mitglied des Instituts angegeben. Prof. Lakoff war Gutachter und offenbar Erstbetreuer der Promotion von Wehling. Er war seinerzeit schon Emeritus und hat sich vermutlich seitdem in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet.

Insgesamt gibt es auf der Webseite des Instituts - die ggf. nicht aktuell ist - keinerlei Hinweise, daß außer Wehling noch irgendjemand anders im "Berkeley International Framing Institute" arbeitet.

Fazit

Ich hatte sehr große Probleme nachzuvollziehen, daß Wehling eine international erfolgreiche Forscherin ist, wie es durch die Anpreisungen in der Süddeutschen und anderen Quellen suggeriert wird. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß die populärwissenschaftlichen Werke von Wehling den Stand der Forschung richtig wiedergeben. Ihr unübersehbarer feministischer Aktivismus und die fragwürdigen Übertreibungen in ihrer Selbstdarstellung machen auf mich indes den Eindruck, daß sie im Zweifelsfall lieber - frei nach Reschke - die richtige "Haltung zeigt".

Letzteres scheint mir auch der Hauptgrund für ihre große mediale Präsenz in den feministischen Medien und den - vermutlich - lukrativen Auftrag der ARD zu sein.

Quellen

Nachträge

  1. (27.02.2019) In einem Interview in der ZEIT bestätigt Wehling den Verdacht, daß das "Berkeley International Framing Institute" nur auf dem Papier existiert und sie alleine unter diesem Etikett arbeitet:
    "...alle meine Kunden wissen, das Berkeley International Framing Institute ist meine Marke, unter der ich Beratungen anbiete. Ein Institut mit Räumlichkeiten hat es nie gegeben und das wurde auch nie suggeriert - wie gesagt, es ist eine Marke. ... ... Vor zwei Jahren haben vier Kollegen und ich gemerkt, dass es in Deutschland Bedarf gibt. Wir wollten Workshops zur Framing-Wissenschaft anbieten, alles stand schon, das Konzept, die Marke. Aber dann hatten die Kollegen weniger Interesse an der deutschen Debatte als ich. Also habe ich alleine weitergemacht."
    Ferner seien 2018 zwei auf ihrer Webseite angekündigte Papiere veröffentlicht worden. Am Gesamteindruck, daß der wissenschaftliche Ertrag der letzten Jahre sehr überschaubar ist, ändert das nichts. Zu ihrer Stelle an der U. Berkeley erfährt man:
    Ich habe jetzt über zwölf Jahre dort geforscht, unterrichtet und gearbeitet. Seit sechs Jahren als Post-Doc, aktuell auf einer reinen Forschungsstelle.
    Was für ein Typ von Stelle (voll oder Teilzeit, Ausstattung usw.) hiermit gemeint ist, bleibt offen.
  2. (17.02.2019) Die laufende Debatte um das Framing geht nach meinem Eindruck von der These aus, daß "unmoralisches" Framing nur von Gegnern der ÖR Medien, "von rechts", von Feminismuskritikern usw. praktiziert wird. Tatsächlich betreiben aber die feministischen Medien seit Jahrzehnten massives Framing zugunsten der feministischen Ideologie und haben erfolgreich die Realitätswahrnehmung der breiten Öffentlichkeit pervertiert, namentlich durch Begriffskriege und insb. dabei vorgenommene Begriffsverschiebungen. Mehr Details hierzu in einem eigenen Blogpost vom 17.02.2019: "Feministisches Framing"
  3. (16.02.2019) Die medialen Darstellungen von Wehling erwecken den Eindruck, sie sei die erste oder zumindest wichtigste Person, die Framing-Effekte entdeckt und erforscht hätte. Dieser Eindruck ist falsch.

    Beispielsweise in dem klassischen Lehrbuch für Journalisten, Deutsch für Profis, von Wolf Schneider, Erstauflage 1984, warnt der Autor in Kapitel 3 vor versteckten Botschaften und Wahrheitsverdrehungen (also Framing, das Wort dafür war damals nicht üblich) von Politikern und anderen Informationsquellen. Journalisten sind nicht nur Produzenten von Framing, sondern auch selber Gegenstand von "Framing-Attacken" ihrer Informationsquellen, das ist seit Jahrzehnten Standardwissen. Generell sind die beim Framing nutzbaren Effekte altbekannte Propagandamethoden.

    Die spezielleren Framing-Effekte, die Wehling in ihrer Dissertation untersucht hat, fallen grundsätzlich das Hauptarbeitsthema ihres Betreuers, George Lakoff. Lakoff untersuchte, wie der Staat als Analogon zu einer Familie verstanden wird und wie Metaphern über die väterliche Rolle auf die Gesellschaft übertragen werden, um ideologische Standpunkte zu begründen. Die Forschungen von Wehling sind daher kein grundlegend neuer Ansatz, sondern eher als Mosaikstein in der Denkschule von George Lakoff anzusehen.

    Die Theorie von der hohen Wirksamkeit der Familien-Metaphern wurde schon 2006 von Steven Pinker massiv angegriffen. Generell gibt es starke Zweifel daran, ob Menschen durch Framing-Methoden und sprachliche Tricks von ihren grundlegenden moralischen Überzeugungen abgebracht werden können. Daß die Denkschule von Lakoff bzw. Wehling durchaus umstritten ist, wird in der medialen Berichterstattung praktisch nirgendwo thematisiert, speziell nicht in Interviews, in denen Wehling als unhinterfragbare wissenschaftliche Autorität präsentiert wird.

Quellen